Pilze
Keine Ahnung, warum ich bisher noch nichts über Pilze geschrieben habe, denn dieses Thema hat wirklich Potential. Vielleicht lag es daran, dass es in den letzten Jahren keine gab. Zuerst war es zu nass und kalt, im letzten Jahr war es zu heiß und trocken. Auch dieses Jahr sah es zunächst schlecht aus: Pfifferlinge gab es keine! Aber im September kam endlich Regen, und darum haben wir jetzt Maronen-Saison!
Ich hole zunächst mal ein bisschen aus: Ich bin mit der Suche nach und dem Verzehr von heimischen Pilzen aufgewachsen, darum kenne ich die schmackhaften und genießbaren Exemplare gut. Die Nichtkündigen zweifeln das natürlich bei jeder Gelegenheit an, doch mein Lieblingsspruch ist: „Man kann jeden Pilz essen, aber manchen eben nur ein Mal!“ Doch es gab auch Zeiten, als wir weder Pilze gesammelt noch gegessen haben. Die Jüngeren werden, wenn sie denn überhaupt davon wissen, mit „Tschernobyl“ in erster Linie eine Reaktor-Katastrophe verbinden, die ziemlich weit weg passiert ist. Dass wir in Mitteleuropa davon wenig abbekommen haben, ist reine Glücksache. Allerdings gab es radioaktive Niederschläge, und die strahlenden Substanzen haben sich in unseren Böden abgelagert. Das war nicht gut für die Pilze. Dazu muss man wissen, dass der Pilz über der Erde ja nicht der eigentliche Pilz ist. Der Pilz lebt unter der Erde und ist ein Geflecht, das gigantische Ausmaße annehmen kann (eine Wissenschaft für sich – lohnt sich mal zu googeln). Die „Pilze“, die wir oberirdisch sehen und pflücken, sind nur die „Früchte“ des Pilzes, die aus dem Geflecht sprießen, wenn die Bedingungen günstig sind. Es ist das gleiche Prinzip wie beim Obst! Haben sich jedoch im Pilz radioaktive Substanzen festgesetzt, werden diese natürlich auch an die Früchte weiter gegeben. Viele Jahre galten unsere heimischen Pilze als „verstrahlt“, vom Verzehr wurde dringend abgeraten. Die meisten Menschen, die ich kenne, hielten sich daran. Aber nach 10 Jahren geriet die Warnung in Vergessenheit, vielleicht weil auch niemand mehr überprüfte, wie stark die Strahlung noch war. Von „Tschernobyl“ spricht heute kein Pilzsucher mehr!
Es ist noch gar nicht so lange her, da bin ich jeden Herbst mit Begeisterung durch den Wald gezogen und habe alles gesammelt, was in mein Beuteschema passte. Ich hatte immer Zwiebeln und Speck vorrätig, um die Delikatesse umgehend in eine warme Mahlzeit zu verwandeln. Meine Kinder konnte ich damit zwar nicht begeistern, aber mein Mann und meine alten Leute waren stets glückselig. Ich habe meine besten Stücke sogar gelegentlich fotografiert (Jäger-Stolz). Aber seit mein Mann gestorben ist, sammle ich nicht mehr, denn für mich alle mag ich nicht braten. Ich fotografiere sie, wenn sie appetitlich aussehen, und lasse sie für die anderen Sucher stehen.
Und davon gibt es zur Pilzsaison viele. Früher, als sie meine Konkurrenten waren, haben sie mich gestört, besonders, wenn sie mit ihren Autos fast bis in den Wald fuhren, um ja nicht so weit laufen zu müssen. Inzwischen stören sie nur die Ruhe im Wald, denn sie haben oft gelangweilte Kinder bei sich, die einen Höllenlärm veranstalten. Und ich muss meinen Hund an die Leine nehmen, was auch ein bisschen lästig ist. Manchmal erschrecken sie mich, wenn ich sie nicht gesehen habe, es aber plötzlich laut im Unterholz neben mir knackt. Aber im Grunde habe ich mit den Saison-Gästen arrangiert.
Vor einigen Tagen habe ich im Internet gelesen, dass eine Polizeistreife einen Autofahrer (aus welchen Gründen auch immer) angehalten und den Kofferraum kontrolliert hat. Dort hätten sie mehrere Kisten mit Steinpilzen gefunden, welche konfisziert wurden. Er hatte nämlich die höchstzulässige Sammelmenge überschritten, die bei 2 kg pro Person liegen würde. Ich war ziemlich baff, denn davon hatte ich bisher noch nichts gehört! Gut, ich habe auch ewig keine Pilze mehr gesammelt, und Steinpilze sind ohnehin recht selten, aber dass diese Sorte jetzt zu den geschützten Arten zählt, war mir neu! Allerdings fand ich die Vorgabe auch ein bisschen fragwürdig, denn wer nimmt schon eine Waage mit in den Wald, um das Gewicht von jedem Pilz zu bestimmen, und einen Abakus, um die Zahlen zu addieren? Und wie ist es dann mit der Umsetzung der Vorschrift? Schabt man schon mal ein paar gammelige Ecken vom Pilz ab? Oder verzichtet man auf die Röhren? Oder zerlegt man ihn gleich komplett? Das wäre nicht nur wegen der Suche nach Maden empfehlenswert, sondern der Pilz wäre dann vielleicht nicht mehr zweifelsfrei als Steinpilz zu identifizieren!
Aber wie verhält es sich, wenn die zulässige Sammelmenge erreicht wird? Hört der Sucher dann auf zu suchen und wandert direkt nach Hause, vorbei an all den wunderbaren Exemplaren, die später noch seinen Weg flankieren? Kann er widerstehen, oder bückt er sich doch, um zu sehen, ob da nicht ein noch prachtvollerer Pilz eingesammelt werden kann? Und wenn ja, wirft er dann einen seiner vorherigen weg, nur um der Quote Genüge zu tun? Da wird ein harmloser Herbst-Ausflug ganz schnell zu einer höchst komplizierten Angelegenheit!
Das ist natürlich alles Gedankenspielerei, und ich glaube nicht, dass irgendein Pilzfreund, der nur für den eigenen Magen sorgen will, sich derart komplizierten Ritualen unterwirft. Er nimmt mit, was er findet, und gut ist! Was soll er auch befürchten? Die Wälder sind so weitläufig, dass es gar keine Kontrollen geben kann! Wer natürlich mit 4 riesigen Kiepen voller Pilze einen privaten Stand auf dem Markt eröffnet, wird kaum jemanden überzeugen können, dass seine 10-köpfige Großfamilie ihm die Ware geliefert hat. Und für solche Fälle wurde das Gesetz sicher auch gemacht. Allerdings habe ich selbst früher schon so viele Steinpilze gefunden, dass ich sie unmöglich selbst verzehren konnte. Ich habe die Überzähligen dann jedoch getrocknet, damit sie später mein Gulasch veredeln. Gewogen habe ich meine Beute nie. Und ganz ehrlich: welcher private Sammler schleppt schon 10 kg Pilze aus dem Wald? Die passen doch in keinen Obstkorb rein! Ich persönlich habe auch immer nur so viele mitgenommen wie ich zu putzen bereit war. Denn Suchen und Finden ist der spaßige Teil. Vor den Genuss haben die Natur-Götter die Küchenarbeit gesetzt, und die kann ganz schön anstrengend werden.