Reh

Wenn man wie ich in Westberlin aufgewachsen ist, hatte man wenig Kontakt mit diesem scheuen Waldbewohner. Nur auf unseren Autofahrten auf der Transit-Route Richtung Westen konnten wir Rehe im Vorbeifahren erspähen, besonders in den Morgenstunden und kurz vor der Dämmerung. Das war für uns Kinder ein schöner Zeitvertreib (wir hatten ja keine Handys oder Walkman oder CD-Spieler). Dann gab es in meiner Kindheit natürlich den Zeichentrickfilm Bambi, der einem das Wesen der hübschen Geschöpfe ein bisschen näher bringen sollte, und Abbildungen in diversen Kinderbüchern.

Hier im Brandenburger Land gibt es natürlich zahlreiche Rehgruppen unterschiedlicher Größe. Als wir frisch in den Wald gezogen sind und noch keine Zäune hatten, beehrten einige Tiere unseren Garten in Zeiten, wenn das Futter knapp war. Aus der Zeit habe ich einige sehr unscharfe Schnappschüsse.

Unvergessen der verzückte Aufschrei meiner Kleinkind-Tochter, als sie ein Reh im Garten erblickte und aufgeregt „ein Perd, ein Perd!“ rief. Sie meinte „Pferd“, Rehe kannte sie noch nicht. Mein Nachbar war über die ungebetenen Besucher nicht so erfreut, weil sie ihm in einer Nacht alle Tulpenblüten abgeknabbert hatten. Das war aber auch ein trauriger Anblick. Seit wir eingezäunt sind, verirrt sich selten ein Reh in die Beete, aber auf dem verwilderten Nachbargrundstück sind sie häufig in den Abendstunden. Dann bekommt mein Hund regelmäßig eine Bell-Attacke, obwohl er sonst ein sehr ruhiger Zeitgenosse ist.

Mich stören sie nur, wenn sie unerwartet in der Nacht aus dem Wald auf die Straße in den Kegel meiner Scheinwerfer springen. Bisher hatte ich Glück und gute Reflexe, so dass diese Begegnungen kontaktfrei blieben und nur meinen Puls schlagartig in die Höhe trieben.

Ich mag Rehe, weil sie hübsche Gesichter haben und sehr elegant springen.

 

Ich weiß, dass sie hier Junge großziehen, aber ich habe noch nie ein Kitz gesehen. Im Frühjahr 2016 hielt sich eine Ricke auffällig oft im Roggenfeld auf und tauchte manchmal schnell ab, dass sie nicht mehr zu sehen war. Ich hoffe nicht, dass sie dort ein Kitz großziehen will. Jeder weiß, dass Mähdrescher kleine Bambis töten. Auch zur Ernte Zeit war sie noch im Feld zu sehen.

 

Während im Herbst, Winter und Vorfrühling die Tiere immer in Gruppen unterwegs sind, sehe ich seit April 2016 im Wald auch manchmal einzelne Böckchen (wahrscheinlich ist es immer das Gleiche, aber wer weiß das schon). Obwohl ich stets meinen Hund bei mir habe, ist es nicht besonders schreckhaft, so dass mein Begleiter es meistens nicht einmal bemerkt. Er kann halt nicht über das hohe Gras oder Unterholz neben den Wegen rüber sehen, so wie ich. Darum habe ich ein paar schöne Nahaufnahmen machen können, ohne es aufzuscheuchen.

Auf der Wiese oder im Feld sieht die Lage natürlich anders aus, da laufen die Tiere immer davon, auch wenn ich mehrere hundert Meter von ihnen entfernt stehen bleibe, um Fotos zu machen. Aber auch von flüchtenden Rehen habe ich ein paar nette Bilder. Mein Highlight wäre natürlich eine Ricke mit Kitz, aber dafür brauche ich wahrscheinlich viel Glück.

Rehe treten meistens in Gruppen auf. „Eine Gruppe“ ist (nach Definition von Reinhard Mey) „mehr als zwei“. Im Winter haben sie weiße Puschelschwänze, ab April sind die Schwänze nicht mehr zu sehen, als wären sie abgefallen. Aber auf einigen Fotos sind noch zarte, weiße Ansätze zu sehen.

Sie verlieren auch im späten Frühjahr ihr graues Winterfell und werden rostbraun.

Das Geweih der Männchen ist nicht wirklich imposant, aber in jeder Gruppe, die man trifft, ist ein Männchen vertreten. Bei der Aufzucht der Jungen haben aber (wie so oft im Leben) die Weibchen die ganze Arbeit. Bis September 2017 hatte ich noch nie ein Kitz in freier Wildbahn gesehen (Lob an die Reh-Mütter). Eines Tages (ich fuhr auf der vielbefahrenen B2 mit meinem Sohn zum Einkaufen) sah ich schon von weitem Fahrzeuge auf meiner Spur mit Warnblinklicht. Natürlich drosselte ich die Geschwindigkeit und näherte mich vorsichtig der Gefahrenstelle. Zu meiner Überraschung hatten auch die Fahrzeuge der Gegenrichtung den Verkehr eingestellt. Denn es gab ein Problem. Mama Reh wollte mit ihrem Kitz über die Straße, aber das Jungtier traute sich nicht (kluges Geschöpf). Es irrte auf der Fahrbahn hin und her, während Mama schon am „rettenden Ufer“ war. Auf einer Straße, auf der die Autos 100 km/h fahren dürfen, ruhte der Verkehr, bis sich das Kitz in der sicheren Vegetation am Fahrbahnrand beruhigt hatte. Vielen Dank an diese Autofahrer, denen einfach Mal ihre Vorfahrt egal war! Und auch Danke an die, die nicht in der ersten Reihe standen und vielleicht nicht wussten, was ab ging, und trotzdem nicht gehupt haben. Das sind die Momente im Leben, wo ich noch an das Gute im Menschen glaube! Es sollte viel mehr Bambis im Leben der Menschen geben!

Seit Wochen fiel mir eine Ricke im Wald und am Feld auf, die nicht weglief, wenn ich mit meinem Hund meine Runde ging. Mein Hund ist klein und harmlos, und meistens sehen ihn die heimischen Rehe nicht mal dann als Bedrohung an, wenn er Anstalten macht, sie zu jagen. Sie traben dann langsam und entspannt davon. Aber diese Ricke war nicht entspannt. Sie lief sogar einmal auf meinen Hund zu, um ihn zu erschrecken (was ihr gelang, denn mein Hund ist eher ängstlich veranlagt). Mich hat sie damit auch erschreckt, obwohl ich natürlich keine Angst vor Rehen habe. Der Grund lag nahe: sie hatte ein Kitz. Einmal glaubte ich auch, es im Wald gesehen zu haben, als neben seiner Mutter das Weite suchte.

An einem trüben Junitag entdeckte ich zum wiederholten Mal die Ricke im Sonnenblumenfeld. Sie sah mich auch und versuchte ungesehen zum Feldrand in den Wald zu kommen. Dort sah ich eine Bewegung und knipste auf Verdacht. Am Rand angekommen, blieb das Mutter-Reh stehen, und mutig hob auch ihr Kitz den Kopf über die Sonnenblumen. Ich habe ein paar sehr schöne Bilder gemacht, und freue mich umso mehr, dass die beiden offensichtlich wachsam, aber nicht ängstlich waren. Sie verschwanden dann nach einigen Minuten auch ganz langsam im Wald.

Die Rehe zeigen sich im Sommer selten. Ich habe einen schönen Schnappschuss von einer Ricke im Sonnenblumenfeld (kurz, bevor es komplett verdorrt ist) und von einem Böckchen im Wald.

Wir haben September, und das Sonnenblumenfeld ist abgemäht. Da versteckt sich niemand mehr. Eine Ricke befand auf der kleinen Wiese zwischen Wald und Schonung. Mein Hund konnte sie nicht sehen und trabte darum desinteressiert voraus. Aber das Reh hatte Interesse an mir. Nach einen anfänglichen Fluchtverhalten kam es doch wirklich wieder zu mir zurück! Ich wusste nicht, das Rehe neugierig sind. Schöne Bilder!