Fußgänger
Meine Bitte an die Frischluftfreunde lautete „Zurück zur Natur – aber bitte zu Fuß“. Darum habe ich die Fußgänger bisher auch nicht erwähnt. Aber heute habe ich auf einem Spaziergang mit dem Hund einen Mann gesehen, der mich dazu brachte, das Thema mal zu überdenken.
Wir haben viele Spaziergänger und Wanderer in unserer Gegend, besonders am Wochenende und im Sommer. Wanderer erkennt man an den Rucksäcken und dem festen Schuhwerk. Sie treten fast ausnahmslos paarweise oder in Gruppen auf. Männliche Solo-Wanderer sind in der Regel so um die Dreißig, sonnengebräunt, wettergegerbt, asketisch schlank, tragen einen Hut oder ein Piratenkopftuch und eine Sonnenbrille. Extrem-Wanderer eben, und sie gucken immer grimmig. Weibliche Solo-Wanderer sind ebenfalls so um die Dreißig, schlank, tragen zweckmäßige, aber unvorteilhafte Kleidung, selten eine Kopfbedeckung oder eine Sonnenbrille, und sie gucken auch immer grimmig. Dann gibt es die gemischten Wandergruppen. Jüngere Stiefelträger laufen meist in kleineren Rudeln, und sie schwatzen die ganze Zeit, so dass sie von der Natur gar nicht viel mitbekommen. Ältere Wandersleut sind meistens in großen, geführten Gruppen unterwegs. Sie schwatzen weniger, weil sie die Puste zum wandern brauchen, und sie bewegen sich eher langsam. Die Gruppe zieht sich auch gerne mal bis zu hundert Meter auseinander. Wanderende Paare sind eher selten, darum gibt es auch keine charakteristischen Merkmale.
In der Überzahl sind aber die Spaziergänger. Wer alleine unterwegs ist, hat so gut wie immer einen Hund dabei (oder ein Frettchen, das habe ich auch mal erlebt. Es hopste an der Leine nebenher. Ich hatte ein nettes Gespräch mit dem Frettchenhalter.) oder einen Kinderwagen. Manchmal sind auch Frauen ganz alleine unterwegs und schlendern durch die Natur. Aber niemals Männer! Männer gehen nicht alleine spazieren, warum auch immer. Die einzigen Ausnahmen sind alte, gehbehinderte Männer mit einem Rollator, die ihr tägliches Bewegungsprogramm absolvieren müssen und niemanden haben, der sie begleitet.
Die anderen Spaziergänger teilen sich auf in Pärchen, die Hand in Hand gehen, Pärchen mit Hund oder Kinderwagen oder beidem, Pärchen mit Kindern auf Laufrädern, Rollern oder Rollschuhen, Pärchen mit (Schwieger-)Eltern oder ganze Familien über drei Generationen. Oft sieht man auch zwei Frauen, die entweder gleichaltrig sind (beste Freundinnen) oder zu zwei Generationen gehören (Mutter und erwachsene Tochter). Und es gibt natürlich noch die vielen Jugendlichen, die zu Fuß zur nächsten Bushaltestelle pilgern müssen (und die ist 2,5 km entfernt). Das ist dann eher unfreiwilliges Spazierengehen, aber gesund ist es natürlich auch.
Warum ich das alles einmal aufliste? Weil es typische Verhaltensmuster gibt, die man überall (wieder-)erkennt. Sie beruhigen einen. Nur wenn es Abweichungen vom vertrauten Muster gibt, wird man wachsam. Meine Tochter und ich haben heute (sonniger Junisonntagnachmittag) im Wald einen einzelnen, älteren Mann gesehen. Er stand da auf dem Waldweg einfach rum. Das ist natürlich kein Verbrechen, aber es gibt keinen logischen Grund, warum er dort stehen sollte. Ein Hund hätte alles erklärt, aber er hatte keinen. Als er uns sah, setzte er sich in Bewegung – von uns weg natürlich. Wir gingen hinterher, weil der Weg nun mal unser Weg nach Hause ist. Sein linker Arm hing ganz normal neben ihm, aber der rechte war angewinkelt vor seinem Körper. Für einen Moment dachte ich, es wäre ein Geo-Catcher, der sein Handy beobachtete für die richtige Navigation. Meine Tochter hatte nämlich beim Laufen die gleiche Haltung, aber sie benutzt ihr Handy für die sprachlose Kommunikation. Irgendwann bog der Mann ab in den Waldweg, der zu einer kleinen Ansammlung von Wochenendhäusern führt. Dort sah ich auch ein Auto stehen. Aber meine Tochter entdeckte auf dem Waldboden plötzlich auseinander gerissene Brotscheiben. Die hatten dort am Morgen definitiv noch nicht gelegen. Meine Tochter witzelte, dass der Mann den Weg zurück aus dem Wald wohl nur gefunden hätte, weil er Brotkrumen verstreut hatte, wie bei Hänsel und Gretel. Aber ich hatte einen anderen Verdacht. Kein normaler Mensch verstreut kleingerissene Brotreste auf einem Waldweg, es sei denn, es handelt sich um Köder. Da ich erst wenige Tage vorher einen Mann dabei gesehen hatte, wie er den Fuchsbau zuschaufelte, um die Füchse zu vernichten, überlegte ich, ob es der gleiche Mann gewesen sein könnte. Diese Annahme würde Sinn machen. Eins weiß ich sicher: in den nächsten Tagen passe ich genau auf, woran mein Hund so schnuppert, wenn wir spazieren gehen. Und ich achte auf tote Tiere. Auch Wildschweine und Vögel machen sich über Brot her. Hoffentlich ist meine Vermutung falsch!