Großtrappen-Safari

Als Karli mich fragte, ob ich anstelle meiner Mutter zur Großtrappen-Exkursion mitkommen wollte, sagte ich sofort „Ja!“. Meine Mutter war wegen des Geburtstags ihrer jüngsten Enkelin verhindert, und da sich beide Events nicht verschieben ließen, sprang ich gerne ein. Ich fuhr sogar schon ein paar Wochen vorher zur Sondierung in die Belziger Landschaftswiesen, aber zu Mittagszeit ließ sich da keine Trappe blicken.

Diese Exkursion war eine Führung von Herrn E, hauptberuflich „Wildtierbeauftragter“ des Berliner Senats, spezialisiert (privat) auf Vogel-Beobachtungen. Im Grunde mag ich solche Gruppen-Besichtigungen nicht, aber da ich die Trappen noch nie alleine gefunden hatte, vertraute ich auf seine Erfahrung. Und er gab auch zu, dass er „Informanten“ hat, die ihm gute Bedingungen verraten. Das ist natürlich trotzdem keine Garantie! Wenn so ein Wildvogel unsichtbar bleiben will, hat man auch mit ganz viel Geduld keine Chance. Natur ist eben unberechenbar, das macht sie ja so reizvoll.

Wir trafen uns in einem kleinen Ort bei Brück namens  Freienthal (L85) und fuhren mit den Autos ziemlich nah an das Reservat. Auch etwas, dass ich nicht so besonders liebe (Autos gehören auf die Straße, nicht in den Wald). Aber man kann älteren Leuten auch keinen ereignislosen Fußmarsch von 1 Stunde oder mehr zumuten, wenn sie Geld für das Ereignis bezahlen. Und es ist erlaubt, so nah an das Gebiet heran zu fahren. Es hat dem Erfolg der Expedition auch nicht geschadet.

Großtrappen leben das ganze Jahr in dieser Region. Alles, was ich über sie weiß und jetzt hier zum Besten gebe, hat Hr. E erzählt. Natürlich kann ich mir nicht alles merken, darum bitte ich um Verzeihung, wenn ich etwas falsch verstanden habe oder ungenau wiedergebe. Ich beschränke mich auch auf das Wesentliche, und einiges konnte ich an diesem Tag auch selbst beobachten.

Vor einigen Hundert Jahren war die Großtrappe in Europa ein Fleischlieferant. Sie lebte überall zahlreich. Im Zuge der Optimierung der Landwirtschaft und Schädlingsbekämpfung wurde ihr die Hauptnahrungsquelle für die Jungvögel – die Insekten – entzogen. Dann fehlten plötzlich Rückzugsgebiete (das Übel für so viele Spezies), und ratzfatz war die Population in Ost-Deutschland auf ca. 50 Vögel gesunken (im Westen war sie ausgerottet und ist es bis heute). Die Rettung der Großtrappen war „die Wende“ 1990 und der Umstand, dass sich westdeutsche Umweltschützer bemühten, für bedrohte Tierarten eine Lobby zu finden. Ohne in Details zu gehen: da haben sich die Tierretter mal richtig ins Zeug gelegt und mit modernsten Mittel versucht, eine Sorte zu retten, die gar nicht mehr in unsere Zeit passt. Hr. E sagte so treffend: wenn es ein Käfer gewesen wäre, gäbe es ihn nicht mehr.

Die Großtrappe ist aber ein imposanter Vogel. Unser Leiter meinte, es wäre der größte flugfähige Vogel der Welt. Ich habe nicht widersprochen, aber irgendwie meinte ich immer, dass der Kondor der größte Vogel der Welt wäre. Ich habe auch schon welche im Zoo gesehen. Doch wir waren ja nicht nur wegen der Seltenheit der Tiere im Naturschutzgebiet sondern besonders wegen der Balz. Sie soll überwältigend sein. Um es vorweg zu nehmen: ich habe sie leider nicht wirklich gut gesehen. Dabei plustern die Männchen ihr Gefieder mächtig auf und spreizen die Flügel ganz eigenwillig und verdrehen den Hals und Kopf. Herr E nannte es: „wie ein riesiger Marshmallow“. Na ja, Marshmallows sind nicht flauschig, sie werden kleberig und flüssig, wenn man sie röstet, im Gegensatz zu Mais, der bei Hitze platzt und bizarre Formen als Popcorn annimmt. Der Vergleich war nicht so treffend, und die meisten in der Gruppe waren noch älter als ich und konnten mit dem Begriff nicht viel anfangen.

Aber ich will nicht rummäkeln, denn unser Vogelexperte war mit viel Begeisterung bei der Sache, und sein Wissen war wirklich mannigfaltig. So klärte er uns auf, dass die Weibchen deutlich kleiner wären und dem balzenden Gockel grundsätzlich übertriebenes Desinteresse demonstrieren. Die Weibchen waren dann auch viel schlechter zu sehen. Ich hatte zwar mein Teleobjektiv an der Kamera und konnte damit genau so gut sehen wie die anderen mit ihren Ferngläsern, trotzdem bin ich einem Männchen auf den Leim gegangen, das an einen balzenden Rivalen vorbei schlenderte, und hielt ihn für ein gleichgültiges Weibchen. In Wirklichkeit war es ein jüngeres Männchen, das sich den Tanz von einem älteren Tier abschaute.

Denn insgesamt hatten wir bei der Expedition sehr viel Glück. Zum einen war es herrliches Wetter, aber die Temperaturen noch kühl genug, dass das Gelände in der Winterruhe lag und gut einzusehen war. Dann entdeckten wir gleich zu Beginn einige Hähne an verschiedenen Stellen, die man aber alle von einem Standort sehen konnte. Herr E positionierte sein Fernglas, und wir durften der Reihe nach durch sehen. Ich hatte das Pech, dass immer die gleiche ältere Frau vor mir dran war, die Ewigkeiten durch den Sucher blickte und das Fernrohr auch gerne mal verstellte. So habe ich die Trappen zwar gut gesehen, aber keine Balz. Und sie waren so weit weg, dass meine Fotos grade mal als Daseins-Beweis ausreichen würden.

Dann flogen die Vögel irgendwann auf, und zogen an uns vorbei. Dabei gelangen mir wunderbare Fotos. Sie kamen sogar nochmal zurück, und wieder konnte ich „schön scharf schießen“. Dann schienen sie zunächst verschwunden, was nicht verwunderlich ist, weil das Areal für sie riesig ist. Ich meine, unser Leiter sagte „30000 qm“, aber es können auch 3000 gewesen sein. Ich hab es nicht so mit Nullen! Dann entdeckte er aber wieder „Marshmallows“ auf einer kleineren Anhöhe, leider ziemlich verdeckt von höherem Gras. Meine Fotos habe ich alle gelöscht, denn außer verwaschenen, hellen Kugeln war da nichts zu erkennen. Aber wir liefen an einem kleinen Bach entlang, der uns vom Reservat trennte, und kamen so viel näher ran.

Dort waren die Männchen zwar nicht mehr so fleißig am Balzen, aber sie waren sehr gut zu sehen. Auch meine Bilder waren jetzt annehmbar. Durch das Fernrohr konnte man jetzt erkennen, wie wunderschön diese Vögel gezeichnet sind. Irgendwann begann dann auch wieder die Balz, und ich versuchte mein Glück mit meiner Kamera. Dann stellte ich mich am Fernrohr an und hatte richtig Pech. Hr. E machte Fotos und Videos mit den Smartphones der Teilnehmer (die Linse ist klein genug, um damit durchs Fernrohr zu filmen). Alle waren begeistert von den brillanten Bildern. Leider konnte einige Minuten lang so sonst keiner mehr die gute „Vergrößerung“ genießen, und wieder war die oben erwähnte Dame vor mir dran und wollte sich in Ruhe die letzten Zuckungen der balzenden Vögel ansehen. Als ich endlich dran war, hatten sich alle Marshmallows zurück verwandelt. Dann wurde es langsam dämmerig, und wir beendeten die Exkursion.

Ich habe den Ausflug trotzdem sehr genossen, nicht nur wegen des herrlichen Vorfrühlingwetters. Wir hätten auch Pech haben und keinen einzigen Vogel zu Gesicht bekommen können. Aber wir hatten das „volle Programm“. Unser Expeditionsleiter war sehr kommunikativ und versiert, die begehrten Objekte für uns aufzustöbern. Und dann haben wir die Riesenvögel auch noch im Flug gesehen! Ich schätze, wenn Herr E diesen Ausflug innerlich bewertet, gibt es eine „Eins-Plus mit Stern“. Das freut mich, denn er ist mit ganzer Leidenschaft dabei! Persönlich hätte ich mir eine etwas leistungsfähigere Kamera vor meinem Auge gewünscht, aber eigentlich kenne ich meine „Grenzen“ und kann dankbar sein, dass ich die Möglichkeit für so viele Bilder hatte.

Und ich habe auch noch ein bisschen „Beifang“. Ein Rotmilan saß an unserer ersten Beobachtungsstelle im laubfreien Geäst. Ich erkannte einen Raubvogel, fand ihn aber recht klein, darum bat ich den Fachmann um eine Identifizierung. Fernglas gezückt: Rotmilan! Nun, von dem habe ich noch kein Sitzfoto, also ist es ein Erfolg.

Viel später, an unserer letzten Beobachtungsstelle, zwitscherte ein Vogel hoch auf einem unbelaubten Baum. Ich kannte den Gesang nicht, aber fotografisch war der Vogel im Gegenlicht nicht identifizierbar, darum verzichtete ich zunächst auf Fotos. Bis eine Exkursionsteilnehmerin locker zu ihrer Freundin meinte: „Horch mal! Eine Grauammer!“ Okay, wenn Ihr  mir die Identifizierung so einfach macht! Also knipste ich ein paar Gegenlichtfotos von der Grauammer (die ich noch nicht hatte).

Zum Schluss noch einen Appell an alle Teilnehmer solcher Ausflüge. Ja, ihr hab Euch darauf gefreut und Geld dafür bezahlt. Das entbindet Euch aber nicht von guten Manieren und Rücksichtnahme, denn die anderen wollen auch was erleben. Wenn es nur ein brillantes Fernrohr gibt, und die anderen in der Schlange hinter Euch warten, dann „mehrt Euch nicht aus“ sondern macht nach 10-20 Sekunden den Platz frei und verstellt vor allem die Einstellungen nicht. Wilde Tiere bleiben nicht so lange in Positur, bis alle Leute ausreichend die Situation ausgekostet haben, und so eine Balznummer kann auch schon man nach einer Minute vorbei sein. Wenn es Fotografen im Team gibt, rennt ihnen nicht vor der Kamera lang (hinten rum gehen ist kein unzumutbarer Umweg) und stellt Euch nicht vor ihnen auf. Ihr seid in der Natur, da ist genug Platz für alle. Auf dieser Exkursion habe ich die geballte Ladung „Egoismus und Hirnlosigkeit“ abgekriegt, und wir waren nur 15! Hr. E muss eine unerschütterliche Frohnatur sein, wenn er solche Grotten regelmäßig aushält.