Elbauen bei Dessau

Eigentlich habe ich jedes Jahr die Woche nach Ostern Urlaub. Das letzte Mal, dass ich in der Zeit auch verreist bin, ist lange her. 2015 war die Woche sonnig, und trotz Frühlingskälte legte ich mich jeden Tag in Decken gewickelt in den Garten, um mein Gesicht zu bräunen. Wenn ich schon nicht nach Mallorca flog, wollte ich wenigstens so aussehen, als wäre ich im sonnigen Süden gewesen. Es ist mir gelungen, und ich habe mich bestens erholt – wie es sich für einen Urlaub gehört.

2016 war ich fest entschlossen, ein paar Tage weg zu fahren. Ostern fiel in den März, aber im Frühling findet man immer ein schönes Ferienziel. Am liebsten wäre ich an die See gefahren. Ich könnte jetzt zwei Seiten lang Erklärungen liefern, warum alles wieder nicht geklappt hat, aber das ist gar nicht mehr so wichtig. Ich hatte mir eine Tagestour an die Elbe in der Nähe von Dessau vorgenommen und bin bei deprimierendem Regenwetter um 11.00 Uhr (Sommerzeit, ganz frisch) losgefahren. Inbrünstig betete ich, dass der Wetterbericht falsch war und es nicht den ganzen Tag regnen würde. Bei Regen streikt meine Kamera. Aber es sah leider danach aus.

Nach einer knappen Stunde war ich in der Region, die ich mir ausgesucht hatte. Mein erstes Ziel im Norden von Roßlau fand ich nicht, aber ich war an zwei Stellen vorbei gekommen, die ganz vielversprechend aussahen. Also wendete ich und fuhr zurück. An Stelle 1 gab es einen Parkplatz, denn dort befand sich das „Schlösschen“ Roßlau. Ich rüstete mich gegen Regen und betrat das Gelände. Überraschender weise begann hier einer der Rundwanderwege durch die Elbauen, allerdings hatte ich diesen nicht auf meiner Liste, weil es mehr um Landschaft ging als um Tierwelt. Ich wäre ihn wohl trotzdem gegangen, aber es regnete so heftig, dass ich keine Lust hatte und umdrehte.

So fuhr ich zu Stelle 2, an der man irgendwie parken konnte, obwohl kein Parkplatz ausgewiesen war. Es war ein Zugang zur Elbe, an der wohl Boote auf Transportanhängern zum Wasser gebracht werden konnten. Der Zugang endete genau an einem Bogen des Flusses, so dass man eine schöne Sicht flussauf- und flussabwärts hatte. Auf der gegenüber liegen Flussseite weideten Schafe, die vereinzelt zum trinken ans Wasser kamen. Der Regen ließ etwas nach, darum ging ich einige Meter flussaufwärts, und fotografierte einen Zaunkönig. Schwanzmeisen gab es auch. Ein Greifvogel zog östlich seine Kreise, war aber viel zu weit weg, um ihn zu identifizieren.

Ich beschloss, weiter auf der Bundesstraße nach Osten zu fahren. Dort sollte es zwei tolle Aussichtspunkte am Elbeufer geben. Ich fand einen und fuhr dran vorbei, weil es keinen Parkplatz gab. Ich wendete, fuhr zurück und parkte dann trotzdem dort, um wenigstens ein Foto zu schießen. Es regnete immer noch! Inzwischen war ich ein bisschen frustriert. Es blieb nur noch ein Rundwanderweg, der lag im Örtchen Kliecken (das ich bisher zwar gesehen, aber ignoriert hatte, weil ich dachte, ich müsste den Ort „Kiecken“ suchen – kleiner Wortwitz). Ich fuhr also wieder mal zurück, fand Kliecken und sogar den Ausgangspunkt für den Rundweg. Wieder gab es keine Parkplätze, aber man konnte das Auto abstellen, ohne dass es jemanden behindert oder gestört hätte. Der Regen hatte deutlich nachgelassen, also entschied ich mich für den (nicht regenfesten) Wintermantel, weil in dessen Taschen so viel Stauraum war. Ich nahm meine Papiere mit, das Handy, die Brille, ein Objektiv zum wechseln und natürlich den Fotoapparat. Dann ging´s los!

Ich war noch gar nicht richtig auf dem Weg, da sah ich einen Storch, der auf der Wiese hinter der Kuhweide nach Nahrung suchte. Er sah etwas ramponiert aus, offensichtlich hatten Regen und Matsch ihm etwas die Frisur versaut. Trotzdem wirkte er majestätisch, wie man es von einem Storch gewohnt ist. Rings herum zwitscherten die Vögel auf allen Frequenzen. Es war unmöglich, bestimmte Arten zu erkennen oder neue Fotoobjekte zu lokalisieren. Es gab einige hellbraune Vögel, fast Amselgröße, die ich nicht zu fassen bekam. Ich sah sie ständig – wenn sie vor mir davon flogen. Dann gab es die allgegenwärtigen Meisen, die aber auch überaus schreckhaft waren (ärgerlich, wenn man auf einem Naturpfad unterwegs ist und Fotos machen möchte). Ein Rotkehlchen hielt wenigstens mal still! Aber dann gab es einen winzigen Vogel, der zwar nicht so scheu war und fröhlich durch das Dickicht flatterte, aber sich entweder hinter 1000 kleinen Zweiglein versteckte, die mein Fokus einfach nicht durchdringen konnte, oder so hektisch wegflog, dass ich einfach kein Bild zustande brachte. Der hat mich richtig Zeit gekostet und dabei nach allen Regeln der Kunst vorgeführt. Kleine Mistmade! Dieses wenig produktive Spiel trieb später auch noch der Hausrotschwanz mit mir, der zwar überall (oft in einer kleinen Gruppe) auftauchte, aber nie eine Sekunde stillhielt, und ganz schnell wieder flüchtete.

Die meisten Vögel, die ich sah, kannte ich bereits aus unserer Region. Graugänse, Kraniche, Schwäne, Meisen aller Art, Goldammern. Aber ich kam trotzdem auf meine Kosten. Der Auenpfad, den ich erwählt hatte, umfasste eine Wasserlandschaft, die „alte Elbe“ hieß. Vermutlich war hier eine Schleife der Elbe abgetrennt worden bei einer „Begradigungsmaßnahme“. Es gab auch Haubentaucher, und ich hatte das Glück, sie beim Balzen zu fotografieren. Das war mir zwar auch schon am Kleinen See bei uns gelungen, aber die damaligen Aufnahmen gehören in  die Kategorie „Balz light“. Dann fotografierte ich einen Wasservogel, den ich gar nicht zuordnen konnte. Er ruhte sich auf einer kleinen Insel aus, war ziemlich groß und bunt. Erst nach einer Recherche im Internet konnte ich ihn als Nilgans identifizieren. Von der hatte ich noch nie was gehört! Ich konnte außerdem Schilfvögel ablichten: den Teichrohrsänger und die Rohrammer. Außerdem waren 60 km südlich von meinem Zuhause schon die Schwalben angekommen. Ich habe sogar Flugbilder! Fast zum Schluss bekam ich noch tolle Bilder von einem Turmfalken.

Da bin ich ziemlich erfolgreich nach Hause gefahren. Wer braucht schon Urlaub, wenn er in geringer Entfernung solche Schatztruhen hat?

Natürlich war das nicht mein letzter Ausflug zu dieser Wundertüte. Im Juli bin ich wieder hingefahren. Diesmal hatte ich meinen Hund dabei, obwohl das ja für Vogelfotografie eher hinderlich ist. Trotzdem war das mein erfolgreichster Besuch überhaupt. Schon nach 1 km Fußmarsch stellte ich entsetzt fest, dass ich meine Zigaretten im Auto gelassen hatte. Natürlich drehte ich nicht wieder um, aber es war sehr ärgerlich. Als ich an meiner ersten Raststelle ankam, fingerte ich stattdessen mein „Pausenbrot“ aus dem Rucksack und machte es mir auf einer kleinen Brücke bequem. Während ich so schmausend die Umgebung betrachtete, fiel mir ein pummeliger kleiner Vogel auf, der in überhängenden Zweigen über dem See saß. Ich unterbrach meine Mahlzeit, legte die Stulle auf der Brücke ab und machte Fotos. Als der Vogel dann ins Wasser stürzte und kurz danach wieder auftauchte, war ich wie elektrisiert. Ein Eisvogel! Und was machte dieser farbenfrohe Exot? Er flog über die Brücke, auf der saß und setzte sich entspannt auf einen Schilfhalm – 5 m von mir und meinem Hund entfernt – und ließ sich im Sonnenlicht fotografieren (siehe Eisvogel-Seite). Dass ich auf dieser Exkursion auch noch ein Bläßhuhnküken abgelichtet hatte, war lange Zeit nebensächlich!

Natürlich waren alle, denen ich sie zeigte, begeistert von diesen Fotos. So schenkte ich Karli zum Geburtstag einen Ausflug in die Elbauen bei Kliecken (was soll man lieben älteren Menschen, die sonst schon alles haben, auch besseres schenken?). Wir fuhren im September hin und sahen den Eisvogel, aber meine Fotos waren nicht annähernd so gut. Dafür parkten wir aber näher an den Aussichtpunkten, was wirklich problemfrei geht ohne die Natur zu belasten oder gegen Regeln zu verstoßen oder irgendeinen Vogel zu stören. Und auch ohne Eisvogel–Superfoto hatten wir ein Erlebnis der ganz besonderen Art. Während wir an der Eisvogelstelle so die Gegend betrachteten, fiel uns in Tier auf, dass ruhig durch den See schwamm, aber irgendwie keinen vogeltypischen Hals und Kopf hatte. Es war auch kein Vogel, sondern ein Wildschwein! So konnten wir sehen, dass der See ziemlich flach war, denn das Tier blieb irgendwann stehen und fraß Wasserpflanzen vom Grund. Alle Vögel auf dem See blieben von der Anwesenheit des Wildschweins völlig unbeeindruckt, und es verschwand irgendwann im Schilf.

Man bekommt nicht immer, was man sich bei einer Exkursion erhofft, aber wenn man die Augen offen und die Kamera bereit hält, gibt es immer wieder Wunder zu erleben. Hätte ich Karli mit der Aussicht darauf, ein schwimmendes Wildschwein zu sehen, ködern sollen? Nonsens!

Weil dieses Gebiet so schön ist und so artenreich, möchte ich Naturliebhabern gerne mitteilen, wie sie dahin kommen. Autobahnabzweig A9 Coswig, die B 187 Richtung Dessau, nach ca. 700 m links nach Kliecken abbiegen, bei der ersten Gabelung rechts halten und auf der „Hauptstraße“ fahren, bis diese (nach „Kurzer Weg“) eine Biegung nach rechts macht. An dieser Stelle links abbiegen. Dort habe ich nach einigen Metern mein Auto immer abgestellt (kein offizieller Parkplatz, aber es gibt dort einen Rastplatz). Laufen von da ab lohnt sich (immer links halten, ist irgendwie ein Rundweg). Man kann aber auch mit dem Auto weiterfahren. An der Gabelung rechts halten, Straße macht dann nach 300 m eine Kurve nach links, bei der nächsten Gabelung auch links halten. So erreicht man eine tolle Stelle am Katschbach (mit Aussichtsturm). Nach etwa 500 m gabelt sich die Straße, um einen landwirtschaftlichen Betrieb zu umfahren. Biegt man nach links, kann man bis zur „Anglerstelle“ mit dem Auto fahren (wenn die Häuser aufhören, und man sollte dort auch parken, denn danach gibt es keine gute Stelle mehr, um einen Wagen abzustellen). Die „alte Elbe“ muss man dann „per Pedes“ in Angriff nehmen, aber das Gewässer ist nah und die Sicht toll. Biegt man nach rechts, gabelt sich die Straße nochmal, dann bitte links halten (keine Ahnung, was man nach rechts noch so erleben kann). Die Straße wendet sich dann nach rechts, aber man sollte das Auto in der Kurve stehen lassen. Denn kurz dahinter ist ein Aussichtsturm und der Zugang zu der „alten Elbe“ zu zwei Seiten. Wer nicht alle Vögel verjagen will, lässt das Auto vorher ausgehen. Ich wünsche viel Freude und viele tolle Erlebnisse!

Nachtrag: Der September 2018 hielt, was der ganze Sommer versprochen hatte. Es blieb sehr warm und trocken. Ich nutzte einen meiner Urlaubstage, um mal wieder nach Kliecken zu fahren. Und ich fuhr morgens, denn so konnte ich meinen Sohn mitnehmen, der sich freute, dass er mal nicht die „Öffis“  (Anm.: öffentliche Verkehrsmittel) mit den lauten Schulkindern teilen musste. Dafür kaufte er mir auch 2 Schokocroissants als Wegzehrung.

Den Hund hatte ich auch dabei, denn er wäre sonst den ganzen Tag alleine zu Hause gewesen. So kamen wir schon um 08.00 Uhr an. Da war es noch ganz schön frisch, und viele Kleinvögel waren unterwegs. Aber es gab nichts Spektakuläres zu sehen. Keine Kraniche, keine Greifvögel. Der Kolkrabe war häufig zu hören und zu sehen. Auch der Grünspecht begleitete mich lautstark meckernd fast an allen Stellen, war aber zu scheu für ein Foto. An der kleinen Brücke an der „Alten Elbe“ machten wir die erste Pause, und ich gönnte mir ein Croissant. Wie damals, als ich hier die erste Vesperpause einlegte, flog sofort der Eisvogel vorbei. Und er hatte Beute im Schnabel. Und ich leider keine Kamera in der Hand, sondern ein süßes Hörnchen!

Die Seen zu beiden Seite der Brücke waren nicht ganz so von der Trockenheit gebeutelt wie die Seen am Fließ, aber weil sie auch ziemlich flach sind, waren Verlandungszonen zu erkennen. Im Norden tummelten sich Unmengen Graugänse, dazwischen mal ein Graureiher oder Silberreiher. Im Süden waren meine Entdeckungen schwer zuzuordnen, denn die Sonne blendete gewaltig. Ich  konnte einige Enten erkennen, aber keine Arten. Im „Schlick“ bewegte sich was, darum machte ich auf „gut Glück“ ein paar Fotos. Am PC identifizierte ich abends eine große Gruppe Kiebitze. Ich sah sie später auffliegen, als wir schon weit von der Stelle entfernt waren (hätte ich doch noch 20 Minuten länger an der Brücke gewartet!). An der Brücke blieb der Eisvogel scheu, dafür tauchten 3 Schafstelzen auf. Und die Gänse sorgten auch für ein paar schöne Motive.

Am Aussichtsturm war ich dann etwas enttäuscht. In östlicher Richtung gab es nur Gänse, aber wegen der Sonne im Gegenlicht keine schönen Bilder. In westlicher Richtung gibt es nur einen kleinen Wasserstreifen, aber auf dem habe ich schon mal ein Bläßhuhnküken im Nest fotografiert. Heute war die Aussicht zwar gut, das Wasser aber komplett von Entengrütze bedeckt. Ein Schwan mit nur einem großen Jungvogel hielt sich dort auf. Und ein Graureiher. Dafür hätten wir nicht so weit laufen müssen! Aber das ist die Natur! Vielleicht wäre schon eine halbe Stunde später eine Sensation zu sehen gewesen.

Mein Hund und ich gingen also zurück zur Brücke. Ich wählte diese Route unter Berücksichtigung zweiter Aspekte. Erstens wurde es immer wärmer, und auf diesem Weg gab es deutlich mehr Schatten (dabei dachte ich an den Hund). Zweitens gab es auf dem Rundweg nur noch eine Stelle, an der man auf einem begrenzten Feld die „alte Elbe“ einsehen kann. An dieser Stelle hatte ich früher schon „Nullrunden“ gehabt. Darum liefen wir den gleichen Weg zurück (dabei dachte ich an mich).

Ich habe mir einen Rucksack gekauft, den man in einen Campinghocker verwandeln kann. Auf diesem sitzend verbrachte ich 2 Stunden an der Brücke und blickte nach Norden. So war für Fotos das Licht besser, aber die Motive auch. Bevor ich es vergesse: Haubentaucher haben hier erfolgreich gebrütet. Ich habe viel Zeit mit der Beobachtung eines Elternvogels und zweier Küken verbracht, die unfassbar laut und permanent fiepen. Da nützt ihnen ihre Tarnfärbung doch gar nichts! Aber sie blieben komplett unbeeindruckt, wenn der Seeadler auftauchte. Im Gegensatz zu den Gänsen, die schon beim leisesten Anzeichen in Panik gerieten. Meine besten Bilder verdanke ich dem Störenfried! Die Fotos von ihm selbst blieben weit hinter meinen bisherigen zurück.

Die Gänsebilder waren letztendlich meine Highlights bei diesem Ausflug. Zunächst war es nur ein Seeadler, oder sogar ein Paar mit Nachwuchs (ich habe 3 gesehen), welche die gewaltige Gemeinschaft aufscheuchten. Später hatte ich am Himmel ein richtiges „Greifvogel-Stelldichein“. Bis zu 8 Vögel kreisten über dem See. Den Rotmilan erkenne ich immer, aber warum hatte er einen geteilten Schwanz? Sind das Mauser-Folgen? Im Internet finde ich dazu nichts! Dabei fiel mir auf, dass auch schon ein Grünfink am Beginn meines Weges eine solche Zweiteilung des Schwanzes hatte. Aber am Himmel waren auch kleinere Vögel (kleine Rotmilane?).Bei zwei von den Vögeln konnte ich sicher verschiedenfarbige Bussarde ausmachen.

Nun, dem Eisvogel habe ich auch noch vor die Linse bekommen. Da habe ich schon bessere Bilder! Aber dass es mindestens zwei Vögel sind, kann ich bestätigen, denn sie flogen hinter einander her.

Am frühen Nachmittag brachen mein Hund und ich auf nach Hause. Es wurde immer heißer, und mein Gefährte war erschöpft. Wir sind etwa 6 km gelaufen, und auch wenn wir viele und lange Pausen machten: mein Hund ist nicht mehr der Jüngste! Tolle Erlebnisse, tolle Fotos, aber keine Sensation. Mehr war heute nicht zu holen!