Tierliebe
Ich habe eine Weile darüber nachgedacht, wie ich dieses Thema angehe. Dabei musste ich feststellen, dass es ziemlich facettenreich ist, und ich habe die Jäger und die Angler erstmal ausgeklammert. Sie kriegen ein eigens Kapitel.
Tierliebe ist in den zivilisierten Ländern eine recht scheinheilige Angelegenheit. Die meisten Menschen würden sich als „tierlieb“ bezeichnen. Das macht sich auch gut bei der Partnersuche. Aber jeder definiert Tierliebe auf seine Weise, das fängt an bei Hunde- und Katzenliebhabern, die sich oft konträr gegenüber stehen. Es geht über die Akzeptanz der Bürger, unter welchen Bedingungen Schweine und Hühner für den Verzehr gezüchtet und aufgepäppelt werden. Und es hört auf beim Respektieren der Bedürfnisse wilder Tiere, wodurch einige Tierarten in Deutschland ausgerottet und jetzt mühselig wieder angesiedelt wurden. Im Moment machen Bären und Wölfe den Deutschen die Tierliebe schwer, denn wer seine Schafe liebt, kann deren Fressfeinde natürlich nicht besonders leiden. Tierliebe ist also ein heikles Thema.
Insgesamt finde ich, dass man das Töten von Tieren nicht überbewerten sollte, wenn es nicht vorsätzlich qualvoll oder grausam von statten geht. Meine lästigen Mücken und Fliegen im Schlafzimmer erschlage ich kurz und schmerzlos. Verirrte Schmetterlinge oder Bienen und Wespen fange ich mit einem Glas und entlasse sie wieder in die Freiheit, wo sie ihre nützlichen Dienste verrichten oder von ihren Fressfeinden verspeist werden. Alle anderen größeren Tiere beschütze ich, wenn sie mich lassen, aber die Natur hat ihre eigenen Regeln. Natürlich tut mir die Krähe leid, deren Federn neben dem Fuchsbau liegen, und der Fisch, den sich der Fischadler letzte Woche gekrallt hat. Doch ich nehme deren Schicksal nicht persönlich.
Ich bezeichne mich als tierlieb, aber meine Katzen fangen Mäuse und spielen mit ihnen, bevor sie sie fressen (wenigstens das tun sie, wenn auch nur zu Hälfte. Die andere Hälfte bekomme ich auf die Terrasse gelegt, denn sie lieben mich und teilen gerne die Beute). Mein Hund scheucht Vögel auf. Eigentlich will er nur mit ihnen spielen, denn er hat gar nicht mehr genug Zähne, um irgendein Tier zu reißen. Aber das wissen die Vögel nicht. Also erstreckt sich meine Tierliebe genau genommen nicht auf Mäuse und Vögel, obwohl ich beide Sorten unglaublich niedlich finde.
Menschen müssen versuchen, sich mit wild lebenden Tieren zu arrangieren. Das ist nicht so leicht, denn man kann einem Reh nicht erklären, dass die Tulpenzwiebeln teuer waren, und es darum bitte nicht die Blüten fressen soll, wenn man selbst noch in den süßesten Nachtträumen liegt. Es versteht auch nicht, dass Asphaltstraßen für Autos gemacht sind, die schneller fahren als jedes Reh rennen kann. Man muss also seine Blumen schützen, wenn es einem wichtig ist, und als Autofahrer langsam und aufmerksam fahren. Vorsichtsmaßnahmen sind auch angebracht, wenn man sein Auto vor einem kabelfressenden Marder bewahren will, seine Blumenbeete vor Wildschweinen und seine Hühner vor Füchsen. Aber das kostet Geld. Und da hört die Tierliebe manchmal auf!
Was ich neulich erlebt habe, kann ich bis heute nicht verstehen. Ich denke immer wieder darüber nach. Wir haben in unserer Region Füchse. Manche sind scheu, manche spazieren gelassen durch unsere Gärten und inspizieren die Leckereien vom Komposthaufen. Sie machen bei uns keinen Ärger. Vor zwei Jahren konnte man einige Wochen lang junge Füchse auf der Wiese am See beobachten, wie sie gelegentlich aus dem Bau kamen, der schon seit Jahren dort existiert (die Sandhaufen an den Ausgängen sind sogar von der Straße aus erkennbar). Alle Anwohner, die ich kannte, waren begeistert. Ich hatte damals noch keine gute Kamera und meine wenigen Fotos sind mangelhaft. Aber ich stand manchmal minutenlang auf der Stelle, um mir die drolligen kleinen Füchse anzusehen, wie sie vorsichtig die Umgebung ihrer Höhle erkundeten. Im letzten und in diesem Jahr sah ich keine Fuchsjungen und kam zu dem Schluss, dass es keine gab, die in diesem Bau geboren wurden. Möglicherweise war der Bau verlassen. Darum sah ich auch keinen Zusammenhang, als ich vor einigen Tagen mit meinem Hund vom Spaziergang zurück über die Wiese am See nach Hause ging und dort mitten auf der Wiese ein Protzauto bemerkte, dass scheinbar ziellos auf kurzen Strecken hin und her rangierte. Erst mutmaßte ich, dass es sich in einer Kuhle festgefahren hätte, aber der Fahrer stieg irgendwann aus und öffnete den Kofferraum. Meine erste Annahme, dass ein völlig verblödeter Ortsunkundiger über die Acker-Wiese zum See fahren wollte, löste sich auf, denn der Fahrer, ein älterer, gepflegter Mann mit weißem Haar und Brille, schien genau zu wissen, was er tat. Ich sprach ihn an. „Was machen Sie denn da?“. Er antwortete mit einem „Hä?“, was mir schon zeigte, dass er sich keines Vergehens bewusst war. Ich wiederholte die Frage, die er mit einem „Was geht Sie das an?“ quittierte. Ich ahnte zwar langsam, was hier lief, aber ich wollte es nicht glauben. Auf meinen Hinweis, dass er grade einen Fuchsbau zerstörte und die Füchse wahrscheinlich jetzt grade Nachwuchs hätten, belehrte er mich, dass es SEIN Acker wäre und er so viel buddeln könnte, wie er wolle. Außerdem hätte der Fuchs seine Hühner geholt. Ich war fassungslos und konnte gar nichts tun. So äußerte ich noch, dass ich Zweifel hätte, ob man nach dem Naturschutzgesetz einfach Füchse töten darf, aber weil ich nichts ändern konnte, wünschte ich ihm abschließend, dass ich hoffe, dass ihn glücklich machen würde, was er tue. Das hinterließ nicht viel Eindruck, denn er buddelte weiter gewissenhaft die Fuchsbaulöcher zu. Ich machte Beweisfotos, mehr konnte ich nicht tun. Und hoffen, dass meine Vermutung richtig war, und der Fuchs hier gar nicht mehr wohnte.
Was war das für ein Mensch? Er war offensichtlich wohlhabend (die Automarke und die Tatsache, dass er das teure Auto auf einen Acker steuerte, sprachen für sich), aber er tötet lieber einen Fuchs und seine Nachkommen in deren Bau, als seinen Hühnern ein fuchssicheres Gehege zu spendieren?
In den nächsten Tagen suchte ich die Wiese ab, ob der Fuchs noch weiter Zugänge zum Bau hatte und entkommen sein konnte, aber ich fand nichts. Bleibt nur zu hoffen, dass er gar nicht zu Hause war, als sein Heim zerstört wurde. Ich bin sicher, dass es keine Fuchsjungen in diesem Bau gab, sonst hätte man sie schon mal zu Gesicht bekommen. Sein Problem hat der furchbare Mensch damit natürlich nicht gelöst. Ohne sichere Gehege werden immer Füchse kommen und seine Hühner fressen. Was für eine sinnlose, hirnlose Tat! Hoffentlich blieb sie ohne Opfer!