Waschbär

Fast alle Menschen, die ich kenne, hatten in der einen oder anderen Weise schon einmal Kontakt mit Waschbären. Jeder weiß, dass diese putzigen kleinen Maskengesichter aus den USA importiert wurden, und sie sich, weil es keine natürlichen Feinde gibt, explosionsartig vermehren. Sie richten bisweilen ziemlichen Schaden an, besonders, wenn sie sich in bewohnten Gebieten ansiedeln. Dann gibt es meistens Konflikte. Das kann ich verstehen. Wer sich schon regelmäßig über Kabelschäden am Auto ärgern muss, welche die einheimischen Marder gerne verursachen, der braucht nicht auch noch Untermieter auf dem Dachboden, welche die Isolierung des Hauses ruinieren. Aber ich verstehe auch die Waschbärenfreunde, denn diese Tiere sind wirklich erstaunlich.

Meinen ersten lebenden Waschbären sah ich in einem Wildgehege am Edersee in Hessen. Wir waren dort im Urlaub und konnten adoptierte Waschbärenkinder bei der Fütterung beobachten.

Tote Waschbären kannte ich zur Genüge, denn der „natürliche“ Feind des Kleinbären in Deutschland ist das Auto. Waschbären können so groß werden wie Dachse. Ein derart stattliches Exemplar wurde vor Jahren mal an unserer Dorfstraße „erlegt“ und lag da mehrere Tage, bis jemand mit einem Anhänger kam, um es zu entsorgen.

Auf unserem Nachbargrundstück steht ein verfallenes Holzhaus, in dem Waschbären leben. Mein Mann hatte häufig welche in der Dämmerung gesichtet. Ich sah meistens nur im Winter die Spuren im Schnee auf dem Dach. Allerdings bemerkte der Hund sie auch zuverlässig, wenn er abends noch mal mit raus in den Garten durfte. Er tobte dann am Zaun entlang und kläffte wie verrückt. Einmal habe ich mit der Taschenlampe nach der Ursache gesucht und einen etwa fuchsgroßen Waschbären gesichtet, der wie versteinert auf einem schrägen Baumstamm saß. Zum Fotografieren war es zu dunkel. Gelegentlich leuchten auch nachts einige Augenpaare im Geäst im Schein der Taschenlampe.

Erst im Herbst 2016 in der Dämmerung konnte ich mal einige halbwegs verwertbare Fotos von meinen Nachbarn machen konnte. Aber ich habe ein paar sehr niedliche, scharfe Bilder im Winter in einem Wildpark aufnehmen können (dort sind die Tiere nämlich auch tagaktiv).

Ich finde den Waschbären hinreißend niedlich, aber ich weiß, dass er ziemlich aggressiv werden kann. Wir haben auch schon lautstarke, von fauchenden Lauten begleitete Kämpfe auf dem Nachbargrundstück hören können. Da sind bestimmt die Fetzen geflogen. Mein Nachbar regt sich über einen stattlichen Waschbären auf, der gelegentlich an seinem Komposthaufen auftaucht und sich nicht vertreiben lässt. An meinen Komposthaufen gehen die Waschbären auch gerne, und egal, wie gut ich den Abfall sichere, sie finden einen Weg zu den Leckereien. Zur Not graben sie einen Tunnel. Inzwischen habe ich die Entleerungsklappen mit Seilen gesichert, schwere Kübel davor gestellt und alle bodennahen Ecken mit alten Fliesen unterfüttert. Es nützt nichts. Die Tiere haben die ganze Nacht Zeit, lockern die Seile und machen die Plastikklappen kaputt. Nur buddeln tun sie nicht mehr.

Im Juli 2018 saßen meine Tochter und ich an einem Sonntagabend in der Dämmerung auf der Terrasse für einen Abendplausch. Der Hund war drinnen, er hatte den ganzen Tag am Zaun lautstark Theater gemacht (scheinbar ohne Grund), was sonntags natürlich nicht so wünschenswert ist. Doch im Laub auf dem Nachbargrundstück raschelte es auffällig. Rehe waren das nicht. Meine Tochter sah nach: „Mama, komm´ mal schnell!“ Familie Waschbär war offensichtlich von der Abendmahlzeit auf dem Heimweg. Putzig, wie die Kleinen da im Gänsemarsch der Mutter folgten. Ich rannte rein, um die Kamera zu holen. Zum Glück! Ein Waschbärenkind hatte nämlich den Rückzug über den Zaun noch nicht angetreten und irrte auf unserem Grundstück herum. Mama schickte schon die restlichen Zöglinge auf das sichere Dach des Hexenhauses und kam zurück, um ihren „kleinen Unglücksraben“ abzuholen. Inzwischen war auch mein Sohn mit dabei, und wir beobachteten mit Entzücken, wie der kleine Bär versuchte, zur Familie zu kommen. Irgendwann kletterte er am Maschendrahtzaun hoch, balancierte auf den Planen, die zum trocknen darüber lagen, um dann kopfüber an der anderen Seite abzusteigen.

Schnell folgte er Mama durch das Laub, beide kletterten an einem Baum hoch, um auf das Dach zu kommen.

Da warteten schon die Geschwister, und abermals im Gänsemarsch ging es hoch auf den Giebel. Dort musste irgendwo die Einstiegsöffnung für die Waschbärenhöhle sein.

Das war ganz großes Abendkino. Wir lieben Waschbären. Leider wurden nur die Fotos mit Blitz scharf. Tut mir leid, wenn ich Euch blende, "kleine Freunde", aber ihr ärgert meinen Hund! Dafür seid Ihr mir was schuldig! Neue Fotos von einem Geschwisterpaar gibt es aus dem September.