Wenn die Tage kürzer werden...

Als Jugendliche habe ich gerne Agatha Christie gelesen. Und weil Morde überall auf der Welt passieren und Monsieur Poirot gerne am reisen war, hat man bei der Gelegenheit auch einiges über andere Länder erfahren. So erlangte ich durch diese Lektüre die Weisheit, dass in der Region um den Äquator die Tage immer gleich lang sind, und zwar genau 12 Stunden (die Nächte natürlich auch). Im Laufe meines Lebens habe ich dann gelernt, dass es an den Polen im Sommer nicht dunkel wird, während rund um die Wintersonnenwende durchgehend Nacht herrscht. Faszinierend!

Wenn man wie ich in Nordeuropa aufgewachsen ist, kennt man „Jahreszeiten“. Es war mir als Kind ein Rätsel, warum mit dem März der Frühling einzog, der offizielle Frühlingsanfang aber erst am Ende des Monats lag. Somit galt der März als Wintermonat, und folgerichtig gehörte der Dezember in den Herbst. Das war wirklich verwirrend, denn in vielen Weihnachtsliedern wurden auch die Freuden des Winters besungen. Meine Eltern waren nicht so die „Erklär-Bären“, darum musste ich bis zur 7. Klasse warten, bis wir im Erdkundeunterricht (heutzutage heißt das „Geografie“) mal was über Mondzyklen und Sonnenwenden erfuhr. Nun, inzwischen habe ich ein ganz gutes Verständnis für den Lauf der Welt, und finde es auch nicht besonders erwähnenswert, zumal das Wetter ja sowieso macht, was es will.

Genau wie das Wetter bietet jedoch die Länge der Helligkeit am Tag ausreichend Gesprächsstoff für jede Gelegenheit und jeden Gesprächspartner. Spätestens im September fängt das Gemaule an:

„Oh je, jetzt werden die Tage wieder kürzer!“

„Ich komme irgendwie gar nicht mehr aus dem Bett!“

„Ich musste heute Morgen mit Licht zur Arbeit fahren!“

Ich mache da fleißig mit, denn ich habe es auch lieber hell. Außerdem spart man Strom. Aber wenn jemand den ersten der 3 Sätze sagt, muss ich zwanghaft wiedersprechen:

„Nein, die Tage werden nicht kürzer! Jeder Tag hat immer noch 24 Stunden!“

Aber Ende Dezember bin ich auch genervt, wenn ich morgens im Dunkeln zur Arbeit fahre und abends im Dunkeln nach Hause komme. Zum Glück steht zu dem Zeitpunkt Weihnachten vor der Tür, und da ist sowieso alles durch Lichterketten erleuchtet. So helfen sich die Menschen in „dunklen Zeiten“.

Was haben diese Banalitäten in der Kategorie „Philosophisches in Sachen Natur“ verloren? Der scharfsinnige Leser ahnt es schon: ich will mich über die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit auslassen. Das ist nämlich ein Eingriff in die Natur! Nicht in die Flora und Fauna, sondern in die Natur des Menschen. Im Gegensatz zu vielen Bürgen des Landes konnte ich mir von Anfang an merken, wann die Uhr vor, und wann sie zurück gestellt wird. Ich hatte nämlich an dem ersten Umstellungs-Sonntag meinen allerersten Schwimmwettkampf und stand mutterseelenallein vor verschlossenen Toren, weil ich meinen Wecker eben nicht umgestellt hatte. Sowas vergisst man nie!

Als Kind nimmt man gelassen hin, was sich die Erwachsenen ausdenken, und findet sich damit ab. Ich war damals schon sehr am Umweltschutz interessiert, und wenn Wissenschaftler errechnet haben, dass sich durch diese Maßnahme massig Energie in Form von Strom sparen lässt, dann ist das natürlich ein gewichtiges Argument und ein guter Grund, der Menschheit eine zusätzliche Geißel aufzuerlegen. Der Gewöhnungseffekt machte den Rest.

Aber seit einigen Jahren werden Stimmen laut, dass es Humbug ist mit der Stromersparnis. Ich bin weder Mathematiker noch Wirtschaftswissenschaftler, darum habe ich keine Ambitionen, die neuen Thesen nachzuprüfen, aber da sie sich bisher immer noch halten, muss was dran sein. Und ich wäre der Erste, der eine Petition zur Abschaffung der Zeitumstellung unterschreiben würde, denn ich finde den ganzen Umstellungszirkus einfach nur lästig (liegt sicher auch am fortschreitenden Alter). Es geht damit los, dass man sich im Frühjahr freut, dass es morgens immer früher hell wird. Das hebt die Laune und vertreibt den Winter-Blues. Aber grade, wenn zeitgleich mit dem Weckerklingeln der erste Sonnenstrahl ins Zimmer leuchtet, kommt die Zeitumstellung. Und schon ist es wieder zappenduster. Das frustriert nicht nur mich jährlich aufs Neue. Jetzt könnte man argumentieren: „Ja, aber im Herbst hast dann doch den umgekehrten Effekt! Grade bist Du enttäuscht, dass es morgens noch dunkel ist, dann wird die Uhr zurück gestellt, und es ist morgens wieder hell!“

Hätte klappen können, wenn nicht irgendwelche Schlauberger vor Jahren beschlossen hätten, die Rückstellung auf Winterzeit vom September auf Ende Oktober zu verlegen. Und da ist es dann auch eine Stunde später immer noch so dunkel wie vorher.

Ein Mitglied meiner Familie, seines Zeichens Rentner, bedauert, dass nicht immer Sommerzeit ist. Dann ist es abends doch so schön lange hell, und man kann länger draußen sitzen.  Wir haben uns richtig in die Wolle gekriegt, als dagegen hielt, dass es keineswegs länger hell wäre. Nur die Uhr würde eine frühere Zeit anzeigen, und wenn er morgens einfach früher aufstehen würde, hätte er die gleiche Sonnendauer – auch ohne Zeitumstellung. Und vor 1980 hat sich keine Sau beschwert, dass es im Sommer zu früh dunkel werden würde!

Ich verstehe nicht, warum Brüssel so lange braucht, um den dringenden Wunsch besonders der Schüler und berufstätigen Menschen zu erfüllen. Eine Zeitumstellung ist mit Aufwand verbunden, sie zu unterlassen nicht. Warum also zögern?

Und diese ganze Diskussion, warum wir denn nicht für immer Sommerzeit bekommen, finde ich noch idiotischer. Vor über 100 Jahren wurde Greenwich als Null-Meridian festgelegt und ist seitdem (soweit ich weiß) international anerkannt. Ich würde Kritik an der momentanen Situation verstehen, wenn dieser Meridian in der Wüste Gobi oder an einem anderen fernen Ort ohne Zivilisation liegen würde. Aber Greenwich ist „fast um die Ecke“, also gibt es keinen Grund, ihn anzuzweifeln. Und wenn sich die zivilisierte Welt tatsächlich ohne vorherige Kriege auf ein eine grundlegende gemeinsame Orientierung geeinigt hat, dann ist das doch eine monumentale Errungenschaft. Eine Änderung wäre ja, als wolle man den julianischen Kalender wieder einführen! Und bitte nicht vergessen: die Sonne geht trotzdem zu den astrologisch vorgezeichneten Zeiten auf und unter, egal ob jemand behauptet es sei  06.00 Uhr früh oder schon 07.00 Uhr!

Solange Innovationen dem überwiegenden Anteil der Bevölkerung einen Nutzen bringen, stehe ich dahinter, auch wenn ich selbst deswegen Umstände in Kauf nehmen muss. Aber wenn etwas nutzlos ist und den Menschen schadet, dann muss es weg. Und ich kenne wirklich niemanden, der die Zeitumstellung nicht zumindest als „lästig“ empfindet. Ich sehe der Winterzeit gelassen entgegen, denn eine Stunde länger schlafen dürfen schadet nicht. Aber es wäre wirklich ein Segen, wenn das Drama im kommenden Jahr ein Ende hätte. Dann bleibt im September nur noch das übliche Gejammer: „Ach, jetzt werden die Tage wieder kürzer!“ Das kann ich aushalten.