Exoten

Es hat seinen Grund, weshalb manche Tiere und Pflanzen nur in fernen Ländern gedeihen, und diesen Grund muss ich nun wirklich niemandem erklären. Seit Jahrhunderten begeben sich Menschen auf Reisen, um andere Teile der Welt kennen zu lernen. So erfahren sie andere Lebens- und Essgewohnheiten, und wenn ihnen etwas gefällt, bringen sie es mit. So weit, so menschlich!

Vielen Leuten ist gar nicht bewusst, welche Zier- und Nutzpflanzen aus z.B. Asien oder Amerika bei uns inzwischen zum heimischen Alltag gehören. Ich möchte als Beispiel nur die Forsythie und die Kartoffel nennen. Diese und andere Gewächse haben sich so reibungslos eingebürgert, als hätte die Evolution sie für Europa vorgesehen. Ob sie dabei anderen Arten den Lebensraum streitig gemacht und denen dadurch die Lebengrundlage entzogen haben, interessiert eigentlich nicht mehr, denn es ist sowieso nicht mehr umkehrbar. Ich gehe aber davon aus, dass die meisten eingeschleppten Pflanzen die heimische Ökologie nicht nachhaltig schädigen.

Anderes sieht es bei den Geschöpfen der Fauna aus. Das vermutlich bekannteste Beispiel ist der Waschbär, an dem sich die Geister scheiden. Die Fans sind begeistert von der schwarzen Maske, dem frechen Gesicht, dem Klettervermögen und sicher auch von der Anpassungsfähigkeit. Die Gegner beklagen die Dreistigkeit und die „Zerstörungswut“. Der Waschbär hat in Deutschland außer dem Straßenverkehr keinen „natürlichen“ Feind, so dass er sich in einigen Regionen dominant ausbreitet.

Je kleiner das Geschöpf ist, desto weniger wird vom Durchschnittsbürger seine Existenz wahrgenommen. Ich möchte nicht wissen, wie viele exotische Nager, Reptilien und Amphibien sich inzwischen in meiner Gegend eine ökologische Nische geschaffen haben. Sie leben sicher unsichtbar unter uns und haben sich vielleicht schon mit heimischen Arten gekreuzt. In die Schlagzeilen geraten sie auch nur, wenn ein giftiges Exemplar ausbüchst oder eine Schnappschildkröte im Weiher ein badendes Kind zwickt. Dann ist die Empörung groß. Das kann ich verstehen, und grundsätzlich finde ich, wenn man schon einen Exoten aus der heimischen Freiheit in einen Glaskasten verbannt, dann sollte man auf das Viech wenigstens gut aufpassen! Doch Einzel-Flüchtlinge sind bestimmt kein elementares Problem. Ohne Partner können sie sich nicht vermehren und erliegen irgendwann der Altersschwäche.

Das Thema Insekten ist dabei nicht zu ignorieren, wobei die „Spinne in der Yucca-Palme“ auch mehr als Einzelfall zählt. Ein großes Problem sind Populationen, die sich zu uns ausbreiten, weil sich das Klima ändert und sie hier ihre bevorzugten Lebensbedingungen vorfinden. Bekannteste Bespiele sind Mücken und Zecken. Aber dabei handelt es sich in meinen Augen um eine weitestgehend natürliche Entwicklung, und die soll an dieser Stelle nicht reflektiert werden. Ich möchte hier nur die „eingeschleppten“  Arten erwähnen. Und weil ich grade vor wenigen Wochen mit dem Problem konfrontiert wurde, muss der Buchsbaumzünsler als Beispiel herhalten.

Buchsbäume sind für mich der Inbegriff der Langeweile, wenn sie nicht grade kunstvoll zu einer Skulptur geschnitten einen royalen Park bereichern. Aber da würdige ich mehr die Kunst, nicht den Busch, denn der ist ja nicht von alleine in diese Form gewachsen. Der Buchs ist einfach unauffällig! Allerdings ist er immergrün, so dass ich die Hecke vom Nachbarn, die an mein Grundstück grenzt, gut tolerieren konnte. Und er wächst nicht so schnell, weshalb die Hecke auch wenig Licht wegnahm. Mein Nachbar bewässert seinen Garten eher unregelmäßig, aber auch das konnte die Hecke nicht ruinieren. Darum war ich umso verwirrter, als vor einigen Wochen Teile der Hecke braun wurden. Es dauerte nicht lange, bis ich die Raupen, die sich neuerdings im Minutentakt aus meiner Eiche abseilten, mit dem Schaden in Verbindung brachte. Im Internet hatte ich dann auch mit wenigen Klicks den Übeltäter ausgemacht. Es war eine Invasion, und die Raupen waren gründlich (Details und Fotos auf der Schmetterlingsseite).

Der Garten meines Nachbarn war europaweit kein Einzelfall, obwohl ich immer noch nicht ahnen kann, wie die Milliarden Zünsler-Raupen ausgerechnet zu uns in den Wald kamen. Laut Internet sollen sie schon vor über 10 Jahren durch den Pflanzenhandel aus Ostasien eingeschleppt worden sein. Mein Nachbar kauft gelegentlich Pflanzen in einem großen Gartenmarkt in der Nähe. Möglicherweise hat er da mal einen „Missgriff“ getan. Ist eigentlich auch unwichtig, denn der Schaden ist ja bereits unumkehrbar angerichtet. Leider hat er die befallenen Büsche nicht fachgerecht entsorgt (im Moment könnte man sie nicht mal verfeuern, weil Waldbrandstufe 5 herrscht), so dass nach etwa dreißig Tagen die ersten Motten durch den Garten flatterten. Die von mir befürchteten Schmetterlingswolken blieben aber aus. Vielleicht lag das daran, dass entgegen der Berichte aus dem Net die Raupen bei uns doch natürliche Feinde haben. Ich sah jedenfalls die Kohlmeise und die Mönchsgrasmücke oft in der abgestorbenen Hecke rumturnen. Angeblich wird Meisen von den Raupen schlecht, und ich wartete tagelang geduldig, um mal einen kotzenden Vogel abzulichten. War mir aber nicht vergönnt.

Der Zünsler ist jedenfalls wieder verschwunden. Die angekündigten „Wander“-Zecken haben bisher nicht den Weg in meine Region gefunden (wahrscheinlich war es ihnen, wie auch den heimischen Arten, in diesem Jahr erneut viel zu trocken) und der Waschbär lebt mit seiner Familie weiterhin im Hexenhaus auf dem verlassenen Nachbargrundstück. Unterm Strich bin ich also nicht wirklich durch Exoten belastet, und solange mich kein Krokodil aus dem Teich im Findlingsgarten anlacht, bleibe ich entspannt. Man darf zwar die Gesamtangelegenheit nicht aus den Augen verlieren, aber meines Erachtens hat die Menschheit wichtigere Probleme zu lösen.